Verschiedene Betriebe im Planungsraum der Rheinspange fallen unter die „Seveso-III-Richtlinie“ zu Risiken von Unfällen mit gefährlichen Stoffen. Dies betrifft beispielsweise die chemische Industrie. Der TÜV Nord hat im Auftrag der Autobahn GmbH in einem Gutachten geprüft, welche Risiken etwa durch Brände, Explosionen und die Ausbreitung toxischer Stoffe von diesen Betriebsbereichen auf die zwölf vertiefend zu untersuchenden Varianten der Rheinspange ausgehen würden.
Im Gutachten wurden dafür zunächst im Rahmen der Seveso-III-Richtlinie angemessene Sicherheitsabstände, zu den Betriebsbereichen ermittelt. Dabei spielte unter anderem eine Rolle, mit welcher Art von Stoffen in einem Betriebsbereich gearbeitet wird, in welcher Menge die Stoffe vorliegen und wie sie verwendet werden. Drei der zwölf Varianten für die Rheinspange verlaufen komplett außerhalb der Sicherheitsabstände. Neun Varianten unterschreiten die ermittelten Sicherheitsabstände.
Im zweiten Schritt wurde genau geprüft, wie hoch das Gefahrenpotential bei diesen neun Varianten ist. Dafür wurden fünf Varianten im Detail untersucht: Variante 4B, 6aB, 6aT, 7T und 8B. Die vier weiteren Varianten 3B, 6bB, 5B sowie 11B verlaufen im Umfeld der Betriebsbereiche jeweils identisch mit einer der genannten Varianten und wurden in der Untersuchung daher nicht separat betrachtet. Jede Variante wurde entsprechend der sich ergebenden Konflikte auf einer Skala von eins (kein Konflikt) bis zehn (maximaler Konflikt) eingestuft.
Im nächsten Schritt wurde geprüft, inwieweit vorhabenseitige Maßnahmen, beispielsweise Einhausungen der Autobahn oder dauerhafte Maßnahmen der Verkehrslenkung, zur Konfliktminderung für die einzelnen Varianten geeignet sind. Unter Berücksichtigung dieser Maßnahmen wurde eine zweite Einstufung auf der oben genannten Skala vorgenommen. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Gutachtens zu prüfen, inwieweit anlagenseitig weitere Maßnahmen in Frage kommen.
Im Ergebnis stellt das Gutachten fest, dass Tunnelvarianten im Hinblick auf die Seveso-III-Richtlinie grundsätzlich konfliktärmer als Brückenvarianten sind. Betrachten wir das einmal detaillierter.
Brückenquerung bei Godorf mit höchstem Konfliktpotenzial
Die nördliche Variante 4B (vergleichbar mit Variante 3B), welche bei Godorf an die A555 anschließt und dann als Brückenvariante den Rhein quert, weist insgesamt mit das höchste Konfliktpotential auf. Hier wurden neben den Betriebsbereichen der Evonik Operations GmbH, der Basell Polyolefine GmbH und der Thermischen Rückstandsverwertung GmbH & Co. KG (TRV) auch die Häfen- und Güterverkehr Köln AG (HGK) untersucht. Die HGK unterliegt zwar nicht der Seveso-III-Richtlinie, weist jedoch nach Einschätzung des Gutachters vergleichbare Gefahrenpotentiale auf. Das Konfliktpotenzial wurde auf der Skala mit der Maximalwertung zehn bewertet. Dieses Gefahrenpotential kann durch geplante verfahrenstechnische Verbesserungen der Evonik Wesseling sowie vorhabenseitige Maßnahmen reduziert werden, sodass das Gutachten die Variante in diesem Fall nur noch mit acht Punkten bewertet.
Geringere Konflikte bei Tunnelvarianten
Für die südlicheren Varianten (6aB, 6aT, 7T, 8B) fallen in Wesseling und Niederkassel die Betriebsbereiche der Shell Süd, Evonik Logistics Services und Evonik Functional Solutions unter die Seveso-III-Richtlinie. Neben den Gefahrenpotentialen durch Brand, Ausbreitung toxischer Stoffe und Explosion wurden hier auch Risiken im Bereich von Shell Süd durch dichte, schwarze Rauchwolken untersucht. Ohne Berücksichtigung vorhabenseitiger Maßnahmen bewertet das Gutachten die Varianten mit vier, fünf oder acht Punkten. Auch diese Konfliktpotentiale können nach Einschätzung des Gutachtens durch verschiedene Maßnahmen reduziert werden.
Seveso-III-Gutachten stellt kein Ausschlusskriterium dar
Wichtig zu wissen ist, dass eine schlechte Bewertung im Seveso-III-Gutachten kein Ausschlusskriterium für eine Variante darstellt: Diese Bewertung fließt gemeinsam mit verschiedenen anderen Aspekten als wichtiger Belang in die Gesamtabwägung für die Vorzugsvariante ein. Das Seveso-III-Gutachten kommt zwar zu dem Ergebnis, dass die nördlichen Varianten mit einer Rheinquerung bei Godorf die größten Konflikte mit umliegenden Betriebsbereichen aufweisen. In dieser Hinsicht werden südliche Varianten besser bewertet: Einige verlaufen vollständig außerhalb der angemessenen Abstände zu den relevanten Betriebsbereichen und sind entsprechend konfliktfrei. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Rheinquerung per Brücke bei Godorf zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen ist. Wenn sich eine nördliche Variante in der Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen, umweltfachlichen und verkehrlichen Aspekte am vorteilhaftesten erweist, würde sie auch trotz einer schlechten Bewertung im Seveso-III-Gutachten weiterverfolgt werden.
Kosten und Nutzen möglicher Maßnahmen zur Konfliktminderung, die im Gutachten zu einer besseren Bewertung einer Variante führen würden, fließen ebenfalls in die Gesamtabwägung ein. Die genaue Erstellung der Abwägungssystematik ist Teil des zweiten Projektabstimmungstermins (Pa2-Termin), welcher voraussichtlich im Herbst 2021 stattfinden wird.